Ibrahim Lada’a
Bad Lippspringe, 2.11.05
Der soziale Aspekt der israelischen MAUER
Palästinenser aller politischen Schattierungen nennen die zur
Zeit unter Bau befindliche, 650 km lange und 8 m hohe Betonmauer von 1,5
m Dicke, rassistische Trennungsmauer. Manche vergleichen sie mit der Berliner
Mauer, andere sagen es ist eine Gefängnismauer, die Israel auf
palästinensischem Boden trotz der Verurteilung durch den
internationalen Gerichtshof unbekümmert weiter baut. Viele Palästinenser
sprechen über Frieden und meinen damit Kapitulation .Sie sprechen im Fernsehen
und im Internet über die Revolution mit all ihren Strukturen, über die
gefallenen und verletzten Palästinenser, die sie in ihren Seminaren und
Presseinterviews Stolz in Zahlen angeben, haben aber nie einen Cent für die
Kinder und Frauen der Gefallenen und Verletzten gespendet. Sie sprechen über
die Liberalisierung der Frau und meinen nur Sex. Sie sprechen über die soziale
Gesellschaftsstruktur im starken Widerspruch zur revolutionären Kultur des
Widerstandes. Es liegen sehr viele Probleme vor, die uns noch jahrelang
beschäftigen werden. Eines dieser Problem, das so gut wie nie angesprochen wird
und als Ergebnis des Mauerbaus anzusehen ist, ist das Problem der Arbeiter der
besetzten Gebiete von 1967. Für diese Arbeiter hat durch den Mauerbau ein neuer
Überlebenskampf begonnen.
Die Statistik zeigt, dass die Zahl der illegalen Arbeiter aus dem besetzten
Gebiet, die in Israel arbeiten, fast die Hälfte der Arbeiter ausmacht, die von
der israelischen Militärverwaltung und der palästinensischen Verwaltung
genehmigt werden. Diese illegalen Arbeiter sind Tagelöhner, billige
Arbeitskräfte ohne jegliche soziale Absicherung. Sie leben tagtäglich unter der
drohenden Gefahr von der israelischen Ordnungsmacht entdeckt und verhaftet zu
werden. Während der Saisonarbeit beläuft sich ihre Zahl auf ca. 50.000.
Trotz all dem und zusätzlich der rassistischen Diskriminierung und nationalen
Demütigung und der unvorstellbaren Schikanen und Schwierigkeiten, die
tagtäglich überwunden werden müssen, reißt der Strom der Arbeiter aus den besetzen Gebieten nicht ab. Sie haben hart gearbeitet,
haben all diese Schwierigkeiten auf sich genommen, nur um ihre Familien zu
unterstützen, ihre Kinder zu ernähren - in der Hoffnung, dass sie es einmal
besser haben würden. Sie haben nie daran denken wollen, dass Israel eines Tages
die sogenannte grüne Linie dicht machen würde. Diesen Gedanken wagte
keiner von ihnen zu denken. Sie hörten auch nicht die vielen kritischen Stimmen
arabischer Intellektueller, die seit Jahren vor der wirtschaftlichen
Abhängigkeit von Israel gewarnt haben.
Israel hat mehrmals in diesen 38 Jahren Besatzung diesen Faktor ausgenützt, um
politischen Druck auf die palästinensische Führung auszuüben. Die verschiedenen
israelischen Regierungen haben des öfteren die Grenzen
abgeriegelt und es den Arbeitern tagelang, manchmal monatelang nicht erlaubt,
über die Grenze an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Aber jetzt kommt der Tag vor
dem wir lange gewarnt haben, der Tag nach der Mauer. Es ist nicht mehr möglich
die grüne Grenze zu überschreiten, nur diejenigen Arbeiter, die eine
Genehmigung von der israelischen Besatzung und der palästinensischen Verwaltung
erhalten haben, dürfen die Mauer passieren, um zu ihrem Arbeitsplatz zu
gelangen. Und somit bekommen diese Arbeitserlaubnis nur diejenigen, die
Israel lieb hat. Die anderen müssen arbeitslos bleiben und verhungern. Im
Osloer Abkommen hat sich Israel verpflichtet hunderttausend palästinensische
Arbeiter aus den besetzten Gebieten in Israel arbeiten zu lassen. Diesen Punkt,
wie im übrigen viele andere, hat Israel nicht erfüllt.
Folgendes hat sich tatsächlich zugetragen: Bei einem Treffen von ca. acht
Arbeitern, in einem kleinem Dorf, an der Mauer gelegen, verlief folgende
Unterhaltung.
„Bist du heute Richtung Westen gegangen?"
„Nein, es gibt keine einzige Öffnung in dem Zaun." (Gemeint ist der
israelische Zaun, vor Errichtung der Betonmauer.)
„Es gibt seit 10 Tagen eine kleine Öffnung in dem Zaun."
„Aber heute steht dort der israelische Soldat von Sonnenaufgang bis
Sonnenuntergang. Wir waren über 30 Leute, die darauf warteten, dass er weggeht,
aber er ging nicht weg."
„Was meinst du, was passieren wird?"
„Es ist klar, die Arbeitsmöglichkeit drüben (Israel) ist in ihrer letzten
Phase. Du siehst den Hammer, wie er kommt und geht.“ (Der Hammer ist der
israelische Militärwagen für die Grenzüberwachung, mit demselben Typ Wagen hat
die USA den Irak erobert. Die palästinensischen Arbeiter haben sich so
organisiert, dass nach jedem Kilometer ein Beobachter steht, um den
Militärwagen, der den ganzen Tag bis spät in die Nacht, die Grenze rauf und
runter fährt, zu beobachten. Sie verständigen sich dabei mit Handys und wenn
der Hammer weg ist rennen sie, so schnell sie können, durch die Zaunöffnung ins
Landesinnere, wo sie sich in Orangenhainen verstecken können. Dasselbe Spiel
wiederholt sich am Abend, wenn sie zurück nach Hause wollen.)
„Was meinst du, was mit den Autobesitzern , die die
Arbeiter an den Zaun fahren, passieren wird?"
„Sie haben schon angefangen ihre Autos billig zu verkaufen."
„Abu Al Abed schläft seit einer Woche drüben. (d.h.
er arbeitet schwarz in Israel und setzt sich so der Gefahr aus im Gefängnis zu
landen, wenn er erwischt wird.) Freitags blieb er gharba
(im Westen, d.h. in Israel) bis Mitternacht. Erst als der Hammer weg war,
konnte er durch den Zaun schlüpfen und nach Hause gelangen."
Ein anderer, nicht von der Arbeitergruppe, meldete sich zu Wort. Er erzählte:
„Als ich gegen Abend auf dem Weg zur Stadt war, sah ich zwei junge Männer am
Straßenrand stehen. Der Eine machte mir ein Zeichen zu halten. Ich stoppte und
er sagte er wäre aus Jenin und der andere aus einem
Dorf bei Ramallah. „Hör zu mein Bruder, ich
habe kein Geld dich zu bezahlen“, sagte er. Ich antwortete: „Dies ist kein
Taxi, sondern mein Privatauto, steigt ein!“ Während der Fahrt erzählte er: „Wir
arbeiten bei einem Israeli auf dem Bau. Am Ende der Woche sagte er, ich muss
nach Hause euer Geld zu holen, um euch zu bezahlen. Während wir auf ihn
warteten, kam die Polizei und hielt uns bis vor kurzem fest. Danach entließen
sie uns, jedoch unser Arbeitgeber kam nicht zurück. Meinst du, unser
Arbeitgeber, holte die Polizei, um uns nicht zu bezahlen?" „Gott weiß,
aber ich glaube schon, dass er die Polizei
benachrichtigt hat."
Kurz und gut, das ist die soziale Lage von Zehntausenden von Arbeitern, die
seit mehreren Jahrzehnten jenseits der Grünen Linie arbeiten. Wie sollen sie
weiter existieren können, wenn jeder von ihnen eine große Familie zu ernähren
hat und wenn der Zaun durch eine Betonmauer von 8 Metern Höhe ersetzt wird. Die
wirtschaftliche Lage im besetzten Gebiet ist hoffnungslos.
Die Arbeitslosigkeit beträgt über 40 %, Korruption und Vetternwirtschaft
gedeihen und die NGOs und die EU, sowie die
Unterstützerstaaten setzen auf den Kauf und die Bestechung der Intellektuellen
und der politischen Kader aller Schattierungen. Sie werden sich nicht auf
das Niveau des einfachen Arbeiters und Analphabeten begeben, weil diese
keinen Einfluss auf die öffentliche Meinung haben. Diese große Arbeiterschicht
ist eines der Opfer dieser imperialistischen Mauer, aber im Grunde genommen
auch ein Opfer der palästinensischen Wirtschaftspolitik und ihrer
Unterstützerstaaten, weil diese keine wirtschaftliche Entwicklung plant,
um Arbeitsstellen zu schaffen um dadurch unabhängig von der israelischen
Wirtschaft zu werden.
Es muss auch gesagt werden, dass die Mauer von den Israelis in Klassen
diskriminierender Weise benützt wird. Palästinensische VIPs dürfen die Mauer
ohne Schwierigkeiten passieren. Dabei handelt es sich um reiche Geschäftsleute.
Letzten Endes ist diese Mauer mehr ein Zeichen der Klassentrennung denn
eine nationale Sicherheitsmauer für Israel. Es sei Denn, wir sind uns einig,
dass die Klassentrennung nur die Armen und nicht das Kapital trifft.