Wildcat-Sonderheft
Krieg 2003 - März 2003 - S. 49-53
Krieg und Arbeiter im
Iran
Öl und Arbeitskraft
Öl
spielt im Iran seit etwa hundert Jahren eine Rolle. Schon 1901 erhielt der
Engländer d'Arcy eine Erdölkonzession, die für 60 Jahre ein Monopol festschrieb.
1908 wurde zum ersten Mal Öl produziert, seit 1912 exportiert. 1909 wurde die
Anglo Persian Oil Company gegründet, die spätere Anglo-Iranian Oil Company und
noch spätere British Petroleum (BP). Die Ölraffinerie von Abadan wurde etwa zu
Beginn des Ersten Weltkriegs in Betrieb genommen, der jährliche Ausstoß betrug
120 000 Tonnen (etwa 840 000 Barrel). Die Anglo Persian Oil Company förderte
1930 ca. 5,9 Mio. Tonnen Öl und beschäftigte 21 000 Arbeiter und Angestellte, 5
Mio. Tonnen wurden in der Raffinerie Abadan weiterverarbeitet. Bis heute ist
die Ölfördermenge auf mehr als das 35-fache gestiegen (1533 Mio. Barrel im
Jahre 1380 - 2001/2002 - davon wurden ca. 490 Mio. Barrel in mittlerweile neun
Raffinerien verarbeitet, während die Größe der Ölfelder nur wenig ausgeweitet
wurde. Die Zusammensetzung der Arbeiter hat sich stark verändert; damals waren
es ausländische, besonders britische, Facharbeiter sowie aus den iranischen
Dörfern und Städten geholte Arbeitskräfte, heute sind es inländische, einigermaßen
privilegierte Arbeiter aus der Stadt. Deren Zahl hat sich aber kaum erhöht.
1976 arbeiteten im Förderbereich 5 000 und im gesamten Ölsektor ca. 40 000
Arbeiter.
Im
Kriegsjahr 1983 betrug die Zahl aller Beschäftigten im Öl- und Gas-Sektor 82
500. Es wurden 988 Mio. Barrel Rohöl gefördert, davon wurden 227 Mio. in
mittlerweile sieben Raffinerien verarbeitet. Die Zahl der Beschäftigten nur in
den 986 staatlichen Großbetrieben (ca. 13,8 Prozent der Großbetriebe des
Landes) betrug 385 000.
Öl und Staat
Die
d'Arcy Konzession wurde 1933 unter Reza Schah mit einigen Änderungen bis 1993
verlängert. Nach der Abdankung von Reza Schah 1941 und gegen das Verlangen der
USA und der UdSSR, die auch Erdölkonzessionen erhalten wollten, wurde der Kampf
um die Annullierung der Konzession von 1933 und um die Verstaatlichung der
Anglo Iranian Oil Company zum einigenden Moment der nationalen Volksbewegung.
Die von Mossadegh gebildete Nationale Front brachte 1951 den Entwurf eines
Verstaatlichungsgesetzes im Parlament ein. Nach einem über einen Monat
dauernden Streik und Demonstrationen der Ölarbeiter, bei dem viele Arbeiter
getötet und verwundet wurden und der zum Generalstreik ausgeweitet wurde,
wählte das Parlament Mossadegh zum Premierminister und billigte das Verstaatlichungsgesetz.
1953 kam es zum gewaltsamen Sturz der Regierung durch einen von der CIA
geplanten Putsch, der den Sohn von Reza Schah an die Macht brachte. Ein von
US-Monopolen kontrolliertes Erdöl-Konsortium übernahm de facto die Rolle der
Anglo Iranian Oil Company. Ein Vernichtungsfeldzug gegen kämpfende Arbeiter,
Linke und bürgerliche Demokraten überzog das gesamte Land.
Die »Weiße Revolution« des Schah
1961
befanden sich 85% der bebaubaren Böden in der Hand von Großgrundbesitzern,
Staat und Stiftungen. Die Entwicklungsdiktatur des Schahs sollte im Iran die in
der Kennedy-Ära forcierte Strategie der »Agrarreform« umsetzen, eine
Veränderung der Eigentumsverhältnisse als Vorausetzung einer Industrialisierung
und »Entwicklung«. Die Entwicklung kapitalistischer Verhältnisse führte
gleichzeitig zu einer Schwächung der Landwirtschaft und zur Zunahme von
Nahrungsmittelimporten; dies wiederum bedeutete eine zunehmende Abhängigkeit
von den Erdöleinkommen. Die Hälfte der Landbevölkerung (47,5%) erhielt kein
Land, und die freigesetzte Arbeitskraft sammelte sich in Slums, von denen 1977
die ersten Aufstände ausgingen.
Trotz
ihrer geringen Anzahl (1987 sind von den 50 Mio. Einwohnern 11 Mio.
beschäftigt, davon 5,3 Mio. als Lohnabhängige) sind die Ölarbeiter ein wichtiger
Machtfaktor im Land. Der zweimonatige Streik der Ölarbeiter 1979, der
schließlich zum Stopp des Ölexports führte, hat damals der Stagnation der
Demonstrationen und dem Schah-Regime selbst ein Ende gesetzt. Die Arbeiter
hatten in fast allen großen Fabriken die Streikkomitees in Arbeiterräte
verwandelt und u.a. die 40-Stundenwoche und Arbeiterkontrolle durchgesetzt.
Durch die (nicht unerwartete) Machtübernahme der islamischen Konterrevolution
brach ein offener Kampf zwischen den Arbeitern und dem neuen Regime aus.
Die
Propaganda gegen die äußeren Feinde und der Ausbruch des Krieges mit dem Irak
(von Khomeini als eine »Gottesgabe« bejubelt) hatten die Konterrevolution so
gestärkt, dass die Reste der Arbeiterräte (und die 40-Stundenwoche usw.)
vernichtet und viele Arbeiter verhaftet und hingerichtet wurden. In den acht
Jahren Krieg funktionierte ein politisches und wirtschaftliches Bündnis
zwischen drei Fraktionen der Herrschenden - Rentier-Staat-Kapitalisten, Bazaris
(Handelskapitalisten) und industrielle Bourgeoisie - recht effektiv (mit
geringer Arbeitslosigkeit, aber maßlosem Gelddrucken und damit galoppierender
Inflation, unterschiedlichen Wechselkursen und protektionistischen Maßnahmen
zugunsten der Inlandsproduktion usw.), bis die Verweigerung der Unterdrückten,
an die Front zu ziehen, die Weiterführung des Kriegs unmöglich machte.
Der
Wiederaufbau und die Politik der wirtschaftlichen Entwicklung Rafsandjanis
zerbrachen dieses Bündnis, und mit der Schocktherapie seitens der Weltbank und
den Struktur-Anpassungs-Programmen wurden die riots in den Städten und
Arbeitervierteln unkontrollierbar. Das Regime setzte gegen einen riot in
Islamshahr, einem Arbeiterviertel in Teheran mit 80% Arbeiterfamilien, sogar
Hubschrauber ein und ließ die Menschen niederschießen. Am 17. Februar 1997
organisierten die Ölarbeiter zum ersten Mal nach 15 Jahren eine illegale
Demonstration in Teheran vor dem Ölministerium. Diese bis dahin für das Regime
nicht vorstellbare Demonstration (der Macht) wurde niedergeschlagen und alle 2000
Arbeiter, die sich bis zum Ministerium durchgeschlagen hatten, wurden verhaftet
und ins Evin-Gefängnis gebracht.
Mit
der Wahl von Khatami am 23. Mai 1997 versuchte das Regime, mittels »politischer
Entwicklung« mehr bürgerliche Schichten an sich zu binden und mehr Spielraum
für sein Vorgehen gegen die Arbeiterklasse zu schaffen. Das von ihnen selbst
eingeführte islamische Arbeitsrecht (Arbeitsgesetz) wurde für immer breitere
Teile der Arbeiterklasse außer Kraft gesetzt. Die darin enthaltenen Rechte gelten
nicht mehr für die ca. 1,5 Mio. Arbeiter in Betrieben mit weniger als fünf
Beschäftigten, nicht für Beschäftigte in der Teppichindustrie usw.. Jetzt wird
über die Änderung des Arbeitsgesetzes selbst gestritten. Die Privatisierung
stieß auf den Protest der Arbeiter, so verhinderte z.B. der Streik der Arbeiter
der Nationalen Ölförderungsgesellschaft (die mit 6000 Beschäftigten den
gesamten Förderbereich abdeckt) im Oktober 2000 die vom Öl-Ministerium geplante
Privatisierung dieser Gesellschaft im Einvernehmen mit den Konzernen Total und
Shell.
Zur Lage der Arbeiterklasse im Iran zwei
Beispiele
Die
Textilindustrie ist bankrott, und Lohnrückstände von sechs Monaten bis
eineinhalb Jahren sind der Regelfall. Die Forderungen von 90% der
Protestaktionen, von Unterschriftenaktionen und Straßenbesetzungen bis zu
wilden Streiks, sind reguläre Lohnzahlung, die Zahlung der offenen Löhne und
das Ende der Massenentlassungen. Und jedes Jahr kommen 700 000 neue
Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt, von denen nur 200 000 einen Arbeitsplatz
finden. Die Massenarbeitslosigkeit und Armut unter den Frauen ist hoch, so dass
die Zahl der Prostituierten im Iran, besonders unter den Jugendlichen, in
unbekanntem Maße gestiegen ist. Wenn man den Schätzungen Glauben schenkt (New
York Times von 28. August 2002), gehen 300 000 Frauen in Teheran der
Prostitution nach; bei zwölf Mio. Einwohnern Teherans und drei Mio. Frauen über
15 Jahren sind dies zehn Prozent der Frauen in Teheran. Nach jahrelanger
staatlicher Repression (bis zum Mord an diesen Frauen durch offiziell
nichtstaatliche Gruppierungen; allein in Meshed gab es in einem Jahr 16
Entführungen und Ermordungen) gegen diese Erscheinung wird jetzt gegen den
Willen der Konservativen über ein Projekt diskutiert, die Prostitution unter staatliche
Kontrolle zu bringen und so die nicht-islamische (bzw. nicht islamisch
gemeldete) Prostitution und dadurch »die Verbreitung von Aids und anderen
Krankheiten, Verelendung der Kinder und soziale Proteste« einzudämmen. Mit der
Anmeldung der vorläufigen Heirat (Mat'eh) und der Dauer der Ehe (wie viele
Stunden) zwischen Prostituierter und Freier bei den staatlichen Efaf-Häusern
sollen die beiden »Antragsteller« bestimmten Hotels zugewiesen werden.
(Teherans Hamshsahri Zeitung, 28. Juli 2002). Die dafür erhobenen Gebühren
wären für den Staat ein lukratives Geschäft; außerdem könnte diese Arbeit so
kapitalisiert und für Hoteliers profitabel werden.
Die
Arbeiterkämpfe sind seit einigen Jahren so stark, dass selbst die regimetreue
Islamische Arbeiter Partei und Haus der Arbeiter Streikrecht sowie
Koalionsrecht für die Arbeiter fordern, da »sonst die illegalen Streiks, Demos
und Straßenblockaden das Land im Chaos versenken« würden. Hier bietet ILO ihre
Hilfe an und sucht wie das Regime selbst den Dialog mit Oppositionellen
(Arbeitern) im In- und Ausland. Nach der Einreise der ILO-Gesandten nach Iran
am 27. September 2002 wurde neulich von Arbeiteraktivitivisten im Ausland ein
Aufruf an die ILO und den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften verfaßt
mit der Forderung, die Islamische Republik unter Druck zu setzen und u.a. eine
»direkte Kontrolle des IBFG über Kämpfe für die Entstehung unabhängiger
Arbeiterorganisationen« im Iran zu erreichen. Dieser Aufruf wurde von vielen
Arbeiteraktivitivisten und Oppositionellen im Exil unterschrieben. Diese
Aktionen zum Aufbau von Gewerkschaften im Iran mit Hilfe der ILO und IBFG sind
in vollem Gange und werden auch durch den anscheinend aussichtslosen Kampf der
Arbeiter in manchen Betrieben und ihre verzweifelten Briefe an die ILO
forciert.
Haltung zum Krieg
Wie
beim Afghanistan-Krieg bemühen sich die Machthaber im Iran erstens - trotz
aller Propaganda - im Falle eines Krieges um Kooperation mit den USA, und
zweitens darüber hinaus um Einfluß bei der Besetzung der neuen irakischen
Regierung. Der iranische Verteidigungsminister sagte, daß der Iran sich nicht
am Krieg gegen den Irak beteiligen werde, aber US-Flugzeuge nicht als Feind
betrachten würde, wenn diese unabsichtlich die iranische Lufthoheit verletzen
sollten. Rafsandjani, der wahrscheinlich wirtschaftlich mächtigste und
politisch zweiteinflußreichste Mann im Land, sagte am 1. Dezember 2002: »Die
USA haben mit dem Angriff auf den Irak andere Ziele, und zwar die Präsenz am
persischen Golf und die Kontrolle der größten Energiereserve der Welt. In
diesem Fall wäre es das Beste für USA, ihre aggressive Politik aufzugeben: sie
wollen Öl kaufen, und wir wollen Öl verkaufen.« In diesem Konflikt rechnen die
Machthaber, besonders die Reformorientierten, mit der vollen Unterstützung der
Europäischen Staaten, die die US-Politik gegen die »Achse des Bösen« nicht
teilen. Zur Zeit werden z.B. Todesurteile, wenn die Europäer dagegen
intervenieren, schnell revidiert, und neulich wurde die Steinigung als Strafe
faktisch abgeschafft.
Immigration
In
den letzten 23 Jahren flohen zwei bis drei Millionen Menschen aus dem Iran.
Andererseits kamen in den letzten 20 Jahren ca. zwei Millionen Flüchtlinge aus
Afghanistan und ca. 400 000 aus dem Irak in den Iran, die vor allem in der
Baubranche, Tierhaltung und in der Landwirtschaft arbeiten, die nicht zuletzt
wegen der Zufuhr immer neuer und rechtloser Arbeiter aus Afghanistan boomte (in
der Ölindustrie mit ihrem »Enklavencharakter« bekommen die Immigranten keine
Arbeit). Nach dem Abkommen zwischen Iran, Afghanistan und dem UNHCR im April
2002 in Genf wurde ein Programm zur »freiwilligen Rückkehr« der Afghanen
eingeleitet, das für dieses Jahr die Abschiebung von 400 000 Afghanen vorsieht.
Durch den bevorstehenden Irak-Krieg rechnet das iranische Innenministerium mit
350 000 Flüchtlingen und sagt, der UNHCR habe nur für 150 000 Vorbereitungen
getroffen. Ein Sprecher des Ministeriums sagte, daß die Flüchtlinge im »Camp
Zero« untergebracht werden: Der Iran baut sieben Lager im Süden direkt auf der
Grenze; die Plätze für die Zelte sind vorbereitet. Delegierte von
internationalen Organisationen haben die Lager besucht. Iran will verhindern,
dass Flüchtlinge die Grenze überschreiten. Die Erfahrungen mit den afghanischen
Flüchtlingen werden sich nicht wiederholen, so eine Abgeordnete.
Opposition
Die
oppositionellen Gruppen im Iran und im Ausland wie Monarchisten, Ex-Militärs,
Geheimdienstler und Nationalisten, kooperieren mit den Amerikanern. Sogar in
linken Kreisen hört man, warum solle man gegen eine Intervention der Amerikaner
sein. Die Forderungen der Menschen im Iran, sagen sie, lägen auf der gleichen
Linie wie der des amerikanischen Regime Change. Dies ist aber keine öffentliche
Haltung der Linken. Iranische Oppositionelle wie die Volksmodjahedin, Kurden
und andere, die zur Zeit vom irakischem Territorium aus operieren, sind
natürlich gegen einen Krieg zum Sturz Saddams. Die Volksmudjahedin werben seit
Monaten für eine Solidaritäts-Einheitsfront mit anderen Oppositionellen. Die
Arbeiterkommunistische Partei des Iran gab Ende Dezember 2002 für den
»bevorstehenden« Sturz der Islamischen Republik Iran eine Charta der
politischen Freiheiten bekannt und ruft alle politischen Parteien und Gruppen
der Opposition dazu auf, sich auf diese Charta zu verpflichten.
Nach
einer Umfrage einiger Institute wollen 75% der Iraner, daß der Iran den Dialog
mit den USA aufnimmt, das heißt, wenigstens in der Außenpolitik unideologisch
handelt. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Krise ist der größte
Teil der Menschen ohne Hoffnung. Der Versuch, das Regime von innen zu
reformieren, ist für viele fehlgeschlagen. Viele, besonders Jugendliche,
wünschen sogar öffentlich, daß die USA den Iran angreifen. Aber unter dem
Eindruck von George W. Bushs »Iran-Rede« und dem Anschein, daß er und die
»Falken« »nicht auf Eliten und eine Reform von oben, sondern auf die
Bevölkerung« setzten, zu behaupten, daß »im Iran wie auch im Irak die
Möglichkeit gegeben ist, über Befreiung wieder nachzudenken« (Jungle World vom
4. Dez. 2002, S. 17), ist mehr als zynisch.
Aus
der Ausweglosigkeit, in der sich das Kapital zur Zeit in den USA und auf der
ganzen Welt befindet, entsteht das Bedürfnis, der wirtschaftlichen Konkurrenz
und der Kapitalkonzentration politisch-militärisch nachzuhelfen. Und wenn die
jetzige Vorbereitung des Kriegs und dessen Ausführung im Irak wie beim
Afghanistan-Krieg nicht den Effekt hat, genügend (überakkumuliertes) Kapital zu
zerstören, die fallende Profitrate wieder hochzutreiben und dadurch die
ökonomische Krise in den USA und auf der Welt zu beenden, ist nicht
auszuschließen, daß auch der Iran früher oder später an die Reihe kommen wird.
Ein
Genosse aus dem Iran im Exil