NW-Foto: Reinhard Rohlf
Rede
Dr. Drewermann vom 12.8.2006 anlässlich der Kundgebung gegen den Krieg im Nahen
Osten vor dem Rathaus in Paderborn
In Dankbarkeit für Ihr Engagement, gemeinsam in allen Sprachen erklären wir, was
auf den Straßen eben ausgerufen wurde: leazoo
ᾶt
hammil chavah awqafua al-harb. Stop the war. Schluss mit dem Krieg. Und dies
sagen wir nicht allein bezogen auf die Massaker in Nordisrael und im Libanon,
dies sagen wir, weil der Standpunkt der Menschlichkeit gebietet, dem Krieg an
allen Orten, aus allen Vorwänden oder Scheingründen, ein für alle Mal ein
entschlossenes Nein entgegen zu setzen. Jeder, der in diesen Tagen noch den Mut
aufbringt, die Zeitung zu lesen und die Fernsehnachrichten sich anzuschauen,
sieht, was überall auf Erden das Wort „Krieg“ bedeutet: zerfetzte
Menschenleiber; zerbombte Straßen; verelendete Krankenhäuser; verzweifelte,
leidende Menschen, die schon wieder in ihrem eigenen Schmerz die Neigung haben,
mit zusammengebissenen Zähnen das Gleiche zurückzugeben, was ihnen angetan
wurde. Und die Blutmühle der Gewalt, des Hasses, der Rache wird auf diese Weise
niemals aufhören. Denn schon um Krieg zu führen, müssen sämtliche menschliche
Barrieren hinweg gebrochen sein.
In meiner Hand ist ein Brief der israelischen Botschaft in Deutschland, in
welchem Herrn Lada’a, der gerade zu den Waffenlieferungen in den Nahen Osten
gesprochen hat, erklärt wird, dass Israel sich selbstverständlich an die
Konventionen der UN hält. Aber, dass es nicht verboten ist, Streubomben zu
verwenden, Phosphorbomben einzusetzen und Zivilisten zu Opfern eines Krieges zu
machen, der (angeblich) der Selbstverteidigung dient, der aber seit vier Wochen
alles im Libanon zerstört, in der Infrastruktur, in der Verwaltungsstruktur, in
den Wohnvierteln, um die Bevölkerung dort in eine menschliche Katastrophe zu
treiben, aus welcher ein Entkommen für keinen der Betroffenen mehr zu sehen ist.
Streubomben einzusetzen bedeutet, eine ganze Fläche so groß wie einen
Sportplatz, mit einer einzigen Bombe zu belegen, die die menschlichen Leiber bis
zur Unkenntlichkeit zerfetzen. Bandbomben einzusetzen wissen die Älteren hier
aus Paderborn in der eigenen Erinnerung sich noch zu vergewärtigen, besteht
darin, Menschenleiber in lebendige Fackeln zu verwandeln. Das ist im wörtlichen
griechischen Sinn eine Ganzkörperverbrennung, ein Holocaustoma. Will Israel
dieses grauenhafte Wort tatsächlich in seine Praxis übernommen wissen? Kann es
im Sinne eines israelischen Selbstverständnisses liegen, diese Art von Praxis im
Umgang mit Menschen zu legitimieren? Ich höre sagen, so müssen wir tun, weil die
Hisbollah sich versteckt hinter Zivilisten. Ist es die Legitimation, Verbrechen
mit Verbrechen heimzahlen zu wollen? Du hast mir meine Tochter ermordet: das ist
ein Verbrechen, ohne Zweifel, Katjuschas auf Kiriat Schemonah sind Verbrechen;
also bringe ich deinen ganzen Clan, deine ganze Familie um, zum Ersatz dafür. Im
Verhältnis 1 : 10. Ist das die Logik, mit der man Menschlichkeit zu verteidigen
vorgibt? Ist das der Schutz von Unschuldigen? Oder nicht lediglich die
Potenzierung des Verbrechens durch das Verbrechen? Nicht einmal der Name „Krieg“
ist für diese Massaker gerechtfertigt. Wir sprechen heute von einer
asymmetrischen Kriegsführung und meinen damit, dass die einen aus zehn
Kilometern Höhe herunter völlig unangefochten am Boden jede Art von Entsetzen
anrichten können, während unter am Boden aus dem Versteck heraus hinterhältig
und feige, wie es dann genannt wird, Menschen ihr eigenes Leben riskieren, um
das Leben anderer zu vernichten. Israel nennt, was es derzeit tut, gemeinsam mit
George W. Bush, einen Anti-Terror-Krieg; doch klar ist, dass auf diese Weise für
jeden getöteten „Terroristen“ zwei neue wiederauferstehen werden. Man will die
Hisbollah zerschlagen? So stärkt man sie. Wie viel Hass, wie viel Rachegefühl
ist in Jahrzehnten in der ganzen Region aufgebaut worden?
Deshalb erklären wir heute diesem Krieg unser entschiedenes Nein und jedem Krieg
unser entschiedenes Nein. Schlimm ist nicht nur, dass Menschen traumatisiert
werden durch die Gräuel, die man ihnen zufügt. Die amerikanische Armee hat heute
und die israelische Armee wird morgen ein Problem haben, das man
posttraumatisches Stress-Disorder nennt. 100.000 GIs, schätzt man in den
Vereinigten Staaten, leiden bis zum Irrsinn darunter, dass sie Soldaten haben
sein müssen. Was passiert, wenn man Leuten beibringt: du musst für gewöhnlich
acht Stunden in der Fabrik und im Büro zubringen, du musst dann noch vier
Stunden mit deinen Kindern spielen und nachts deine Frau verwöhnen. Aber jetzt,
wenn Krieg ist, wirst du Frauen und Kinder ermorden, weil sie jenseits der
Demarkationslinie von Nordisrael wohnen. Jetzt, wenn du Soldat bist, wirst du
bis in den Nordlibanon gehen, bis in die Bekaa-Ebene, bis nach Beirut, bis nach
Sidon, und alles, was angreifbar erscheint, weil es dort Hochhäuser gibt,
Krankenhäuser gibt, Wasserversorgungsstationen gibt, Elektrizitätswerke gibt,
Brücken gibt, Autobahnen gibt, das alles in Schutt und Asche legen, egal, wie
viele Hunderte oder Tausende von Menschen dabei ermordet oder für den ganzen
Rest ihres Lebens zu unbehandelbaren Krüppeln, zu ewig Schmerz empfindendem
Fleisch werden. Der Wahnsinn der bürgerlichen Gesellschaft: hier bist du
Privatmann und zu Diensten als Steuerzahler; dort bist du Soldat und zu Diensten
der Soldateska, das ist eine Schizophrenie, die irgendwann kollabiert. Und genau
das geschieht.
Die Leute kommen aus den Massakern im Irak zurück, und sie sind unberechenbar
für ihre eigene Frau und ihre eigenen Kinder. Es passieren Morde. Sie schlagen
ihre eigenen Kameraden in irgendeiner Disko tot. Sie sind schwer traumatisiert
und bedürfen einer langen psychiatrischen Behandlung, von der man nicht weiß, ob
sie je erfolgreich sein wird.
Weil das so ist, fordern wir die Abschaffung des Militärs als einer ständigen
Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft. Es hat noch nie in der menschlichen
Geschichte irgendein Problem gelöst. Und es wird in der ganzen künftigen
menschlichen Geschichte niemals ein Problem lösen. Krieg erweitert alle
bestehenden Probleme. Dies sagen wir aus einem internationalen
selbstverständlichen menschlichen Eindruck, einer Evidenz heraus, die in der
Humanität selber liegt. Menschen sind nicht das Opfermaterial zum Siegen. Frauen
und Kinder sind nicht das Material, um sich endlich durchzusetzen. Frau
Condolesa Rice hat nicht das Recht in Rom zu sagen: Wir setzen im Nahen Osten
eine Neue Ordnung durch, und alle, die dagegen sind, werden merken, dass wir die
Stärkeren sind.
Wie könnte man die Probleme im Nahen Osten lösen? Was könnte Israel tun, statt
sich hinter einer riesigen Mauer das eigene Gefängnis zu errichten? Was wäre
möglich, um das Staatsgefängnis, das sich heute Palästina nennt im Griff der
Israelis, endlich zu öffnen, zu einer Gemeinsamkeit zweier biblischer Völker,
zweier semitischer Brudervölker. Nehmen Sie die simple Rechnung, dass die
Vereinigten Staaten von Amerika jeden Tag, den Gott ins Land schickt, eine
Milliarde Dollar ausgeben, für nichts anderes als Rüstung. Und dann hören Sie,
wie die deutsche Regierung beschließt, denn doch wohl zehn Millionen Euro zur
Hilfe in den Libanon zu senden. Es ist noch nicht einmal rein rechnerisch ein
Hundertstel, nicht einmal ein Prozent, der militärischen Rüstung der Vereinigten
Staaten von Amerika, deren Riesenbudget zurzeit in die Hände der Israelis zum
Zerbomben des Libanons fließt.
Auf diese Weise erweitert man alles, was bereits schlimm ist, zum
Allergrässlichsten. Umgekehrt, mit den Syrern darf man nicht sprechen, lautet
die Politik Israels, genauso wie die der USA seit Jahren. Man darf und will mit
Syrien nicht sprechen, weil man dann verhandeln müsste über den Golan. Was aber
wäre, wenn Israel erklärte, wir hören damit auf, das Wasser aus dem See
Genezareth abzuzapfen, aus dem Jordan abzuzapfen, auf den Litani-Fluss
zuzumarschieren im Libanon, damit wir die Wasserversorgung auch dort
kontrollieren können? Was wäre, wenn Israel sagen könnte, wir setzen mal ein
paar Milliarden Dollar ein zur Trinkwasseraufarbeitung, zur
Meerwasserentsalzung, zur Versorgung von Palästina, der Westbank, des
Gaza-Streifens mit den Grundnahrungsmitteln, die ein Überleben, wenigstens am
Existenzminimum, ermöglichen?
Es gäbe ein paar Aktionen, die auf der Stelle bei Konversion der riesigen
Kriegsrüstung in zivile Ziele dem Frieden im Nahen Osten dienen würden. Man
würde im Libanon längst begriffen haben, dass ein Friede zwischen Arabern und
Israelis auf der Basis der Zusammenarbeit möglich ist. Technologie, Know-how,
all das könnte von den Israelis transferiert werden in die ganze Region. Der
Libanon war einmal ein Staat, der wie eine Perle im Orient glänzte. Eine
Verbindung zwischen Christen und Arabern, zwischen Muslimen und Maroniten, eine
Balance der Politik, die unvergleichlich war. Warum musste man das alles
zerstören und zerbomben? Ich höre die endlose Logik: Du aber hast angefangen!
Nein, du hast angefangen! Auf keinem Pausenhof in Paderborn würde ein Lehrer
diese Idiotie bei Pubertierenden hinnehmen. Er würde sagen, die Frage ist jetzt
nicht, wer angefangen hat; die Frage lautet, wie jetzt aufgehört wird.
Aber selbst, wenn man die Rechnung aufmachen wollte, wer denn nun begonnen
hätte, wie denn soll historisch bilanziert werden? Mit der Balfour-Deklaration
von 1917? Mit der Vertreibung von Arabern aus ihren Dörfern und Städten in einem
Land, in dem vermeintlich keine Menschen wohnten? Damit, wie Jabotinsky seinen
Terror gegen die Araber eröffnete nach 1945? Wie man das King-David-Hotel in die
Luft gesprengt hat, bis dass die Briten ihre Kolonialpolitik im Nahen Osten der
UNO mit der Kriegserklärung aller arabischen Staaten 1948 bei der Gründung
Israels übergaben? Mit Sabra und Schatila, als man christliche Milizen in die
Palästinenserlager in Beirut schickte, um sie auszurotten? Kein Mensch konnte
zählen, ob es am Ende 500 oder Tausend Tote waren. So what? Wenn sie nur weg
waren. Kann man zynischer Politik machen, als das seit Jahrzehnten geht? Oder
liegt die Ursache in der arabischen Intifada? Oder in der Ermordung von Rabin
1995? Jedenfalls hat es keinen Sinn, zu sagen, für jede Katjuscha eine Bombe,
für jede Bombe wieder eine Katjuscha. Wir müssen aus dem Irrsinn der Vergeltung,
des Rechthabenwollens um jeden Preis ein für alle Mal heraus. Krieg ist niemals
mehr ein Mittel zur Durchsetzung von Recht. Krieg ist die Kapitulation davor,
den Rechtsstandpunkt dem Anderen vermitteln zu wollen.
Erasmus von Rotterdam konnte dies im 16. Jahrhundert bereits sagen: Wer, wenn
Krieg geführt wird, wäre denn der Meinung, nicht für Recht zu kämpfen? Wer trägt
denn seine Haut zu Grabe, ohne viele große Ideale?
Aber deshalb bin ich dankbar, den Frauen, den Kindern, den Männern aus dem
Libanon, die hier stehen, denn sie alle sagen: Unsere Kinder sollen nicht so
aussehen, wie die auf dem Plakat. Unsere Männer sollen nicht so verenden, wie
die auf dem Plakat. Wir selber wollen nicht so enden, wie die auf dem Plakat.
Aber, wenn es schlimm ist, dass eine libanesische Frau mit Splitterbomben
zerfetzt wird, dann ist es genauso schlimm, dass ein israelisches Kind in Haifa
zerfetzt wird von einer Katjuscha. Menschen sind Menschen und man kann sie nicht
teilen. Man kann nicht sagen, ein Mord drüben jenseits der Grenze gefällt uns,
denn er trifft den Gegner, den wir hassen. Aber bei uns sind wir wehleidig und
schreien bis zum Jüngsten Tage um die Rache Gottes.
Es ist nicht nur im Kern ein humanitäres, sondern wesentlich auch ein religiöses
Problem. Wie kommt es denn, dass es dem Westen gelingt, den Islam als paranoide
Ersatzgröße für den Bolschewismus in der Nachfolge von 1989 zum Weltgegner der
westlichen Zivilisation zu deklarieren? Wie ist es möglich, dass George W. Bush
vor zwei Tagen davon reden kann, dass es einen Islamfaschismus gäbe? Als wäre es
immer noch möglich, die arabische Welt zu bekämpfen, wie man im Zweiten
Weltkrieg Hitler bekämpft hat. Wie konnte Donald Rumsfeld glauben, dass die
Bevölkerung in Bagdad ihn als Befreier empfangen würde, wie die Franzosen in
Paris die Amerikaner 1945? Wie ist es überhaupt möglich, eine Politik solcher
Ignoranz zu betreiben? Wenn wir uns aus dem Irak zurückziehen, erklärte noch
letzte Woche Donald Rumsfeld, dann werden die Muslime zurückkehren wollen nach
Südspanien. Bitte schön, Herr Rumsfeld, besuchen sie Südspanien. Ich empfehle
Granada, ich empfehle die Al Hambra. Und sie werden Duzende von Male den Spruch
lesen: wala ghaliba ilallah. Es gibt nur einen einzigen Sieger, der heißt Gott.
Und ganz sicher nicht George W. oder Rumsfeld. Was der Islam uns bringen könnte,
wäre eine Versöhnung aller Menschen in dem einen gemeinsamen Wort Gottes. Wer
die erste Sure spricht: bismullahi rahmani rahim, kann menschliche Grausamkeit
nicht vereinbaren mit dem Willen Gottes des Allbarmherzigen. Wer begreift, dass
in der 17. Sure des Korans Mohamed im Traum bei Nacht nach Jerusalem versetzt
wurde, versteht, dass man den Koran symbolisch, innerlich und mystisch
interpretieren muss, so wie jede Religion. Dann aber ist es nicht möglich, nach
der Logik von Texten im Abstand von 3.000 Jahren zu erklären, Gott hat uns das
Land gegeben, Gott hat uns das Land gegeben, um eine Siedlungspolitik zu
betreiben, die sich religiös motiviert, aber keinerlei rechtliche und humanitäre
Evidenzen für sich aufzubringen weiß. Albert Einstein konnte 1920 sagen, das
Schicksal der Zionisten in Palästina wird davon abhängen, ob es ihnen gelingt,
mit den Arabern in Frieden zu leben. Martin Buber konnte sagen, wer ein Heiliges
Land betritt, kann dies nur mit einer geläuterten Seele. Wie kann man eine
Heilige Stadt bewohnen und dabei Menschen rechtlich und wirtschaftlich ruinieren
und vertreiben, nur um die eigenen Geschäfte aufzumachen? Dies ist nicht
Religion, dies ist ein Verrat an Gott. Weil es aus Allah, aus Gott oder Jaweh
nichts anderes macht, als einen nationalegoistischen Popanz, als jemanden, der
nur dafür da ist, die Ideologie der eigenen Seite aufzurüsten und zu motivieren,
bis zum Verlust jedes Schuldgefühls. Menschlich wie religiös kann Krieg nicht
die Sache der Menschlichkeit und Sache der Religion sein. Deshalb möchten wir
bessere Worte hören, als sie bisher Papst Benedikt XVI. über die Lippen kamen.
Krieg, spricht er, ist stets die schlechteste Lösung. Wir sagen, Krieg ist
überhaupt keine Lösung. Das, und ein für alle Mal, hätte er zu sagen, statt
dessen wird wieder mal mit Ausflüchten herumdebattiert, ob nicht vielleicht doch
unter Umständen ein Krieg die ultima ratio sein könnte.
Allein die deutsche Militärrüstung für diese ultima ratio verplempert 30
Milliarden Euro pro Jahr, als hätten wir genug davon. Mit den 30 Milliarden
könnten wir eine wunderbare Sozialpolitik aufbauen, wirklich blühende
Landschaften im Osten erhalten, und wir könnten eine Entwicklungspolitik
finanzieren, die den Gründen des Krieges endlich die Wurzeln abgraben würde.
Nichts von alle dem, statt dessen Waffenlieferungen, wie wir vorhin gehört
haben, in ganz großem Stil, nur um daran zu verdienen.
Im Prinzip gehen wir damit nach den humanitären und den religiösen Gründen
bereits zu den politischen Gründen über. Warum das alles, fragt man sich. Heute
wissen wir, dass die Regierung Bush von Anfang an den Krieg gegen den Irak
wollte. Sie hat uns belogen, Zug um Zug: Waffen, die es nicht gab;
Terrorbündnisse, die es nicht gab; Befreiung von einem Diktator, die nie
stattgefunden hat, die auch nie stattfinden konnte. Aber Riesenaufträge von Dick
Cheney, für seine Halliburton-Firma. Milliardenaufträge, die nur den Amerikanern
bei der Wiederherstellung der Schäden zugute kommen sollen, die sie selber
angerichtet haben. Die irakische Bevölkerung hat nach 1991 nach dem 2. Golfkrieg
gezeigt, wie sie all die riesigen Zerstörungen im eigenen Lande reparieren
konnte. Man lasse sie endlich selbst entscheiden und selber leben.
In Palästina ganz genau so. 1992 lag mit dem Osloer Abkommen ein Friedenskonsens
zwischen Juden und Palästinensern auf dem Verhandlungstisch ratifizierungsfertig
vor. Damals bekam ein Mann wie Arafat den Friedensnobelpreis, wer kann sich
daran noch erinnern? Die Leute, denen das nicht gefiel, hießen: Benjamin
Netanjahu und Ariel Scharon. Der Erstere kam nach Rabins Ermordung ins Amt und
erklärte hinter verschlossenen Türen, dass Oslo niemals umgesetzt werden wird.
Stattdessen ging die Siedlungspolitik weiter. Die Pfeilspitzenpolitik ins
Fleisch der Palästinenser ging weiter. Genau so wollte man es. Man musste Arafat
isolieren. Man musste ihn zum Kriegsverbrecher erklären. Man sagte, erst wenn
eine demokratische Wahl in Palästina stattfindet, werden wir Frieden mit euch
schließen können. Die demokratische Wahl haben wir und siehe da, sie gefällt
nicht dem Staate Israel. Man ermordet diejenigen, die das palästinensische Volk
selber gewählt hat. Warum überlässt man den Palästinensern nicht die Lösung der
Frage, wie mit der Hamas zu verfahren ist im eigenen Lande? Wo auf Erden gibt es
einen Staat, der das Recht hat, zu sagen, du hast zwar gewählt, aber wir
diktieren dir, wie du hättest wählen sollen, indem wir alle abschaffen,
ermorden, füsilieren, dezimieren, die du als deine eigenen Vertreter installiert
hast. Denn, wer dich vertritt, bestimmen wir, damit am besten wir uns gleich
selber vertreten.
Was wir sehen ist weltumspannend: Es wäre möglich, verschiedene
Rechtsstandpunkte, die miteinander am Verhandlungstisch nicht kompatibel
erscheinen, an eine internationale Schiedsstelle zu delegieren. Als eine solche
ist einzig legitimiert die UNO. Was hat sie getan? Nachdem Kanaa bombardiert
worden war, von den Israelis, drängte Kofi Annan mit aller moralischen Macht an
den Weltsicherheitsrat. Jetzt oder nie sollte ein sofortiger Bombenstopp, ein
sofortiger Waffenstillstand ausgerufen werden. Das war das Gebot der Stunde. Das
war die Funktion der UNO. Das war das Gebot der Menschlichkeit. Derjenige, der
es hintertrieben hat, heißt Bolton, Botschafter der Vereinigten Staaten in
Washington bei der UNO, und im Hintergrund stand W. Bush, der genau den Mann in
die UNO schicken wollte, damit sie machtlos wird. Die Sabotage der UNO bedeutet
nichts weiter, als dass die Völker, die mitten in der Verzweiflung sind, an die
Durchsetzung internationalen Rechts nicht mehr glauben können. Und dafür
zuständig sind die Vereinigten Staaten von Amerika.
Eben deswegen brauchten wir hier in Deutschland eine Regierung, die im Rahmen
der vereinigten europäischen Regierungen den Amerikanern über den Teich sagt:
Wir als eure Freunde wollen nicht einen globalen Hegemonialanspruch einer
einzigen Macht über die Erde, die zu nichts weiter im Stande ist, als den
Zugriff auf Erdöl, Bauxit, Uran und allem, was ihr gefällt, für internationale
Politik zu erklären. So etwas wäre möglich, wenn wir nicht die Kanzlerin, Frau
Merkel, gerade im Amt hätten. Sie sitzt in Petersburg, sie nimmt hin, dass drei
Tage später ausgerechnet die Bild-Zeitung ihr quasi ein erotisches Verhältnis zu
George W. Bush zudichtet. Dann hört sie, dass der Krieg im Libanon von den
Vereinigten Staate von Amerika längst beschlossene Sache ist. Dass man von Katar
aus die angeforderten 500-Kilo-Bomben auf den Flugzeugträger gerade verschifft,
damit sie im Libanon zum Einsatz kommen. Dass George W. in Petersburg nur
dagesessen hat, um seine eigenen Verbündeten zu hintergehen. Und von all dem nun
kein einzig Wort. Stattdessen eine diplomatische Friedenskosmetik, die lediglich
den Waffengang verlängern soll.
Heute Nacht konnten Sie hören, dass tatsächlich der UN-Sicherheitsrat ceasefire
beschlossen hat, ein Ende der Kampfhandlungen. Und die Folge ist: drei Stunden
später die nächste Nachricht, die israelische Bodenoffensive wird ausgedehnt bis
zum Litani-Fluss. Genau das, war bisher, amerikanische Politik. Wir verlängern
den Krieg, wir verlängern den Krieg, eine Woche, vier Wochen, fünf Wochen, so
lange, wie die Israelis Zeit brauchen, Fakten zu schaffen. Egal, über wie viele
Araber hinweg die Dampfwalze ihrer Merkabas rollt und ihre Raketen einschlagen.
Dies ist keine humane Politik, dies ist eine infame Politik, die wir in Europa
bekämpfen müssen. Inzwischen hören wir von den Friedensaktivisten in den
Vereinigten Staaten, und wir in Europa sollten sie gefälligst unterstützen von
außen, weil nach dem 11. September 2001 nicht einmal mehr die Demokraten zu
einer geordneten Opposition in den Vereinigten Staaten im Stande wären. Wenn wir
erklären in Europa, wir sind nicht in der NATO, um die Hegemonialansprüche der
USA durchzusetzen, wir wollen die Beseitigung des Militärs zugunsten einer
Politik des Friedens global, wir wollen die gewaltigen Mittel an Energie, an
Rohstoffen, an Wissen, an Geld, an humaner Zuwendung endlich dafür eingesetzt
sehen, dass Menschen miteinander leben können, dann hätten wir eine Grundlage,
die Zukunft von Morgen zu bauen und sie nicht zu verstellen, mit den
blutbeschmierten Wänden der Vergangenheit.
In all dem steckt zusätzlich noch ein Öko-Problem. Die Vereinigten Staaten von
Amerika akzeptieren nicht einen internationalen Kriegsverbrechergerichtshof. Wie
denn auch, sie stünden als erste dran am Pranger. Es gibt UNO-Beschlüsse gegen
die Verteilung von Landminen, boykottiert von Israel und den USA. So könnten wir
dran bleiben. Es gibt Protokolle zur Rettung des Klimas, global in Kyoto,
unterschrieben von Clinton, nicht unterschrieben von George W. Bush.
Alleine, was Menschen im Krieg der Umwelt und den Kreaturen an ihrer Seite
zufügen, ist von unvorstellbarer Entsetzlichkeit. Nebenbei, wie wenn es nichts
bedeuten würde, treibt ein Ölteppich vor der Küste des Libanons von 170
Kilometern Länge und 30 Kilometern Breite mit Treibrichtung zu den Stränden
Syriens und der Türkei, nach Zypern. Wenn wir Pech haben oder sollten wir
idiotischerweise sagen, wenn wir Glück haben, vielleicht noch in die Ferienziele
von Griechenland; dann endlich wüssten wir, wie Krieg stinkt, er auch nach Erdöl
stinkt. Vielleicht würde es uns dann nachdenklich machen. Und es würde die
Parole erneuern, die wir die ganze Zeit vortragen: Nein zu jedem Krieg. Und
Peace now in Bezug zu diesem Krieg. Krieg trägt niemals den Namen der
Menschlichkeit, denn er verroht die Menschen im Kern, die ihn führen müssen bis
zur Schizophrenie und bis zum Wahnsinn. Krieg trägt niemals den Namen des
Religiösen oder des Heiligen, denn er macht Gott zum Verräter seiner selbst. Und
Krieg trägt niemals den sinnvollen Namen der Politik, denn er ist das Ende der
Möglichkeit, sich international zu verständigen. Und jeder Rückweg danach ist
schwerer als vorher. Deshalb Schluss mit dem Wahnsinn, Schluss mit der
Blasphemie und Schluss mit dem Irrsinn!
Ich danke Ihnen sehr.
Den Libanesen unter Ihnen sage ich gerne maasalama
und denen auf Deutsch: Gehet hin in Frieden.