Die Eskalation stoppen – die eigene Verantwortung erkennen!

Gewalt, Terror und Faustrecht bringen keine Lösung, sondern schaffen immer neue Probleme. Es ist höchste Zeit, aus der Logik von Rache und Vergeltung auszusteigen. Wer in dem Konflikt, der tagtäglich das Überleben der Menschen im Nahen Osten bedroht, auf Sieg statt auf Verständigung, auf einseitige Parteinahme statt auf Vermittlung setzt, bleibt in der Spirale der Gewalt gefangen. Es geht uns nicht um wohlfeile Neutralität und schon gar nicht um ein feiges „Sowohl-als-Auch“. Im Gegenteil. Doch wir sind überzeugt, dass die sofortige Unterbrechung der Gewalt die erste und unumgängliche Voraussetzung einer Lösung ist. Das erfordert den größten Mut. Mehr als ein Luftangriff oder ein Selbstmordattentat.

Mit ihrem Krieg gegen den Libanon bricht die israelische Regierung Völkerrecht. Mit der Bombardierung der Zivilbevölkerung, der gezielten Vertreibung der Menschen schiitischen Glaubens und der systematischen Zerstörung der Infrastruktur im Libanon und Gaza missachtet sie auf eklatante Weise das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Kaum deutlicher könnte gezeigt werden, wie asymmetrisch der Konflikt im Nahen Osten ist.

Diese Asymmetrie ist selbst eine wesentliche Triebkraft dafür, dass die Gewalt sich immer aufs Neue reproduziert.

Chancen für eine politische Lösung und eine Verständigung mit den arabischen Nachbarn werden damit völlig zunichte gemacht. Ein Leben in Sicherheit, das der Waffengewalt vertraut, ist auf Dauer ebenso unerträglich wie illusorisch – in Israel so wie überall.

Aber auch die Gewalt der Hisbollah kann nicht hingenommen werden. Sie trifft gezielt ZivilistInnen, übrigens nicht nur in Israel. Sie ist Ausdruck eines religiösen Fundamentalismus, der zutiefst antiemanzipatorisch ist. Er richtet sich gegen alle, denen an einem friedlichen Zusammenleben und an gleichen Rechten für alle Menschen gelegen ist.

Doch auch hier gilt: Ein Ende der Gewalt kann nicht durch einseitige Parteinahmen und schon gar nicht durch Dämonisierungen erreicht werden. Es gilt, jedem religiös aufgeladenen Rassismus entgegenzutreten – und denen, die dessen Gewalt direkt oder indirekt für sich funktionalisieren.

Unter den gegebenen Umständen schließt das Verhandlungen allerdings nicht aus, sondern ausdrücklich und zwingend ein. Das auch die Entsendung einer UN-Friedenstruppe einen Frieden nicht erreichen kann demonstriert die UNTSO seit 1948. Auch eine  UN-Friedenstruppe mit sogenanntem „robusten Auftrag“ wird daran nichts ändern. Daher ähnelt die hektische Debatte um eine internationale Truppe zur Erzwingung des Friedens im Libanon derzeit eher einem Wettbewerb für Luftgitarre: Die Bewegungen sind heftig, nur kann dabei nichts herauskommen, solange die militärische Logik nicht ad acta gelegt wird.

Die Bush-Administration gibt der Regierung Israels nicht so sehr aus Verantwortung für die Menschen in Israel Flankenschutz. Sie tut es aus imperialem Eigeninteresse. Strategische Dominanz, soziale Entmachtung und der Zugriff auf die Ölressourcen in der Region sind zwar nicht die einzigen, wohl aber die leitenden Handlungsmotive der Supermacht.

Die Gewalt der Hisbollah wird von den westlichen kapitalistischen Mächten zum Anlass genommen, ihren „Krieg gegen den Terror“ auszudehnen und den „Kampf der Kulturen“ erst zu schaffen, gegen den er sich vorgeblich richtet. Mehr noch: das Denken in Kategorien von wir Gut, die Böse verbindet diese Regierung gerade mit der religiös-fundamentalistischen Gewalt überall auf der Welt.

Die Bundesregierung äußert „Verständnis“ für das israelische Vorgehen. Obwohl klar war, dass mit solcher „Terrorbekämpfung“ die Menschen im Libanon wie in Israel zu Geiseln der Gewaltakteure auf beiden Seiten gemacht werden, wurde die humanitäre Katastrophe in Kauf genommen. Diese Haltung ist Teil der gesamt westlichen Nahost-Politik, die – mit graduellen Unterschieden – einseitig zugunsten der israelischen Regierung Partei ergreift. Gleichzeitig ist sie Ausdruck für eine stärkere Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an der imperialen Strategie der USA.

Der Schulterschluss erfolgt nicht unter Zwang, sondern aus dem, was diese Regierung „wohlverstandenes deutsches Eigeninteresse“ nennt. Der entschiedene Widerspruch gegen diese Politik ist eines unserer Hauptziele. Nicht, weil wir das „deutsche Interesse“ besser vertreten würden. Dieses „deutsche Interesse“ eine Mischung aus Harz vier, Ausländer raus, imperialen Gelüsten und Superprofiten ist nicht unser Interesse. Wir sehen als Internationalisten viel mehr den inneren Zusammenhang von Globalisierung und Krieg zugleich lokal und global. Deshalb müssen wir ihn zuerst hier aufdecken und ihm entgegentreten.

Das schließt auch ein, sich für die bedingungslose Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Libanon einzusetzen, denen nicht nur der sich christlich nennende bayerische Staatsminister Beckstein die Einreise in Deutschland verweigern will. Der religiös verbrämte Rassismus ist keine Spezialität des Nahen Ostens, und kein Rassismus ist schlimmer als der, den man im eigenen Alltag bekämpfen muss.

Die religiös-fundamentalistische Gewalt hat ihre Wurzeln in der langen und komplexen Geschichte des Konflikts. Der fünfzigjährige Krieg hat die säkularen Strukturen und ihre Glaubwürdigkeit fast vollständig zerstört. Doch ist solche Gewalt kein bloß nahöstliches Problem, sondern eine der Folgen des weltweiten Rollback gegen säkulare emanzipatorische Bewegungen und Perspektiven.

Sie ist zugleich eine Konsequenz der neoliberalen Globalisierung selbst, des von ihr hervorgerufenen massenhaften Elends und der wachsenden Ausgrenzung von Millionen und Abermillionen. Immer mehr Menschen werden um jede soziale Perspektive, um ihre politische Teilhabe und sogar - gerade im Nahen Osten – um die Mittel eines Überlebens in Armut gebracht. Unter dem Druck der neoliberalen Verelendung und Entrechtung scheint vielen die Flucht in religiös aufgeladenen Nationalismus und Rassismus die letzte Möglichkeit politischer Selbstbehauptung zu sein. Diesem Irrtum verfallen übrigens nicht nur die „Verlierer“ der Globalisierung und nicht nur Menschen islamischer Traditionen, sondern auch deren „Gewinner“, die mehrheitlich christlichen Traditionen entstammen.

Die Anerkennung des Existenzrechts Israels, die Anerkennung des Rechts der PalästinenserInnen auf Selbstbestimmung und die gegenseitige Respektierung aller Konfliktparteien ist die politische Vorbedingung eines Friedensprozesses.

Als Menschen, die in einem der mächtigsten Länder des Westens leben, sind wir nicht von Bomben und Raketen bedroht. Die Eskalation der Gewalt aber lässt uns in gleicher Weise ohnmächtig zurück wie die Menschen in Israel, im Libanon und in Palästina, die dort für Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit für alle streiten.

Wenn die zunehmende Gewalt und die wachsende Verelendung, Nationalismus, Rassismus, Fundamentalismus und einen angeblichen „Kampf der Kulturen“ scheinbar plausibel werden lassen, dann werden die Chancen für eine andere Welt umso geringer. Je auswegloser das Politische in ethnische, nationale, rassistische Kategorien gezwungen wird, in desto weitere Ferne rückt die Befreiung von Unterdrückung, Ausbeutung, Ausgrenzung.

Eine friedlichere, sozialere, kurz eine lebenswerte Welt, aber kann nicht von Regierungen eingefordert, sie muss erstritten werden. Hier, in Israel, im Libanon und in Palästina, nicht von oben, sondern von unten, von uns. Wir selbst sind es, die zur solidarischen Zusammenarbeit und zum offenen Austausch mit denen aufgefordert sind, die sich in Israel, im Libanon, in Gaza und der Westbank gegen den Krieg und die Ursachen des Krieges wehren. Wir sind es, die unmittelbar auch zur materiellen Unterstützung derer aufgefordert sind, die im Augenblick zunächst einmal die humanitäre Katastrophe abzuwehren suchen. Dabei spielt die Zeit so lange gegen uns, als Bomben und Raketen auf den Libanon, auf Israel und auf Gaza niedergehen. Deshalb kommt dem Ende der Gewalt höchste Dringlichkeit zu: auch wenn ein Ende der Gewalt noch lange keinen Frieden bedeuten wird.

Thomas Schroedter / Bund Deutscher PfadfinderInnen (BDP) Infoladen / Projektbereich Eine Welt an der Universität Paderborn

auf Grundlage der ATTAC Erklärung zum Krieg im Nahen Osten vom 8. Juli 2006

 

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