Initiative gegen den Krieg Paderborn

Gespräch mit der Regisseurin (aus dem Presseheft - siehe http://www.hoehnepresse-media.de/mauer/pdf/wallPresseheft.pdf)


Im Film sprechen Sie hebräisch und arabisch. Wo liegen die Wurzeln Ihrer Herkunft, wo haben Sie gelebt, und wo leben Sie heute?

Ich wurde in Marokko in eine traditionelle jüdische Familie hineingeboren. Ich ging in eine französische Schule. Meine Eltern sprachen arabisch miteinander und französisch mit ihren Kindern. Als die Familie 1966 nach Jerusalem übersiedelte, lernte ich sehr schnell hebräisch, fuhr aber fort, französisch zu lesen und arabisch zu singen.

Ich leistete meinen Militärdienst während des Krieges von 1973: Ich sah den Tod, und das machte mich für den Rest meines Lebens zur Pazifistin. Mit 20 trampte ich kreuz und quer durch Europa wie ein Hippie und ließ mich schließlich in Paris nieder. Dort habe ich viele Filme gesehen und bestand glücklicherweise die Aufnahmeprüfung an der IDHEC, der französischen Filmschule. Seither lebe ich zwischen Paris und Jerusalem. Ich besuche Marokko so oft wie möglich. Ich habe drei Länder und drei Kulturen. Ich habe das immer als einen großen Gewinn begriffen, ein seltenes Privileg in einer Welt, wo Millionen von Menschen staatenlos sind.


In Jerusalem, leben Sie da auf der israelischen oder der arabischen Seite der Stadt?

Das hängt von Zeitabschnitten und Filmen ab. Sagen wir, ich bin Expertin im Überqueren von Kontrollpunkten in beiden Richtungen — und das ist eine Kunst.


Nachdem Sie bei so viel Dokumentationen fürs Fernsehen Regie geführt haben, warum haben Sie Gelder beim CNC Cinema Fund beantragt und einen Kinoproduzenten angesprochen?

Von dem Moment an, als ich die Idee zu dem Film hatte, war klar, dass er fürs Kino bestimmt ist. Im Film ist der Raum entscheidend: der Himmel, die Erde, die Landschaften sind vollentwickelte Protagonisten. Um die Zerstörung der Landschaft zu zeigen, wollte ich weit geöffnete Aufnahmen mit richtigem Horizont. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, in Cinemascope zu drehen, hätte ich es getan. Aber natürlich mussten wir wegen den Schwierigkeiten, sich auf offenem Feld zu bewegen, mit tragbarer Videoausrüstung drehen. Der Film wurde dann sorgfältig auf das 1,85 Format gebracht, und das Resultat ist eindrucksvoll.

Ich wollte einen Film machen, der den Zuschauern Zeit zum Betrachten lässt, und dies ist im Fernsehen weniger und weniger möglich. Ich wollte Sequenzen in einer einzigen Einstellung, Kamerabewegungen von so langer Dauer, dass sie als solche wahrnehmbar sind, Geräusche eher als Worte and Stille zwischen den Worten — all diese Elemente, aus denen das Kino generell besteht, und die das Fernsehen generell ablehnt. Ich hatte eine tiefe Sehnsucht nach dem Kino und freue mich, dass MAUER in Kinos laufen wird. Aber ich hoffe auch auf die Ausstrahlung im Fernsehen. Es berührt mich immer, wenn meine Arbeit im Fernsehen gezeigt wird: Ich gucke aus dem Fenster und sehe die kleinen Bildschirmlichter hinter zugezogenen Gardinen flackern. Dann habe ich das Gefühl, dass ich sicher und wohlbehalten im Zuhause der Leute, in ihrem Leben angekommen bin. Das ist eine große Ehre, mindestens genauso groß wie für das Festival von Cannes ausgewählt worden zu sein.


Wie kam Ihnen die Idee einen Film über die Mauer zu machen?

An einem Sommerabend 2002, während der Nachrichten im Fernsehen, sah ich die ersten Bilder der Mauer. Der israelische Verteidigungsminister, der die Bauarbeiten eröffnet hatte, sagte, dass dieser Zaun aus Eisen und Beton die endgültige Lösung der Sicherheitsprobleme Israels wäre. Sowohl diese Worte als auch diese Bilder waren für mich so unheimlich und besorgniserregend, dass ich mir sagte: „So das war’s, jetzt sind sie verrückt geworden!“

In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Allein die Idee der Aufrichtung einer Mauer zwischen Israelis und Palästinensern riss mich auseinander. In den folgenden Wochen war ich sehr bekümmert. Ich hatte das Gefühl, ich würde in zwei Hälften zerschnitten; dass mir verweigert würde, was ich bin: eine arabische Jüdin, deren ganzes Sein der Schauplatz eines permanenten Dialogs ist. Ich fühlte, dass diese Mauer für alle gutwilligen Menschen wie mich ein unüberwindbares Hindernis wird, während sie Hunderte von Selbstmord- Attentätern hervorbringen würde.


Hat der Film den Kummer vertrieben?

Nicht nur das. Er ist ein Akt des Widerstandes. Selbst wenn die Schlacht eine ungleiche ist. Einer meiner Protagonisten im Film sagt: „Wenn Leute verzweifeln, sind sie still. Ich bin nicht verzweifelt. Ich kämpfe.“ Ich denke wie er. Wenn ich wirklich hoffnungslos verzweifeln würde, was ich so, wie die Dinge laufen, nicht für ausgeschlossen halte, werde ich aufhören, im Nahen Osten Filme zu machen.


Wie haben Sie sich auf den Film vorbereitet? Wir empfanden die Dringlichkeit, mit der er gemacht wurde, die meisten Begegnungen wirken zufällig und spontan. Gleichzeit ist der Film sorgfältig geschrieben, die Einstellungen präzise und der Ton ausgefeilt.

Ich bin unordentlich und impulsiv im Leben, aber ruhig und geduldig in meiner Arbeit. Ich liebe die Technik und das Handwerk des Kinos. Im Januar 2003 habe ich mich auf die Suche nach Drehorten gemacht. Zu dieser Zeit gab es wenig Informationen über die Mauer. So ging ich, mir selbst ein Bild zu machen. Ich filmte mit meiner kleinen Kamera, schrieb Notizen. Im Frühling mietete ich ein kleines Haus in einem Jerusalemer Kloster mit einem Zitronenbaum im Garten. Das wurde zum Produktionsbüro. Ich hängte eine große Karte des Landes an die Wand und zeichnete den fortschreitenden Verlauf der Mauer darauf wie ein General, der sich auf die Schlacht vorbereitet.

Meine beiden Assistenten sind ein bisschen wie ich: Sie sprechen die Sprachen dieses Gebiets, verstehen die Codes und Nuancen dieser Gegend. Doch Jacques Bouqin, der Kameramann, und Jean- Claude, der Tontechniker, hatten noch nie in Palästina gearbeitet.

Ich brauchte ihre unvoreingenommenen Augen und Ohren, die mir halfen, zwischen den Dingen die nur ich fühlte und denen, die universell genug waren, um sie mitzunehmen, zu unterscheiden.

Im Juni fuhren wir in einem Kleinbus los, um die Mauer zu stürmen. Mit einem nicht mehr ganz jungen Stab und dem Wunsch, uns Zeit zu nehmen, gingen wir daran, einen Dokumentarfilm zu schaffen, wie wir ihn lieben: Realität zu filmen aber auch das Wagnis einzugehen, sie durch unseren einzigartigen, persönlichen Blick zu dechiffrieren und zu interpretieren.

Meine Mitarbeiter waren mit ganzem Herzen beim Film, gaben mir ihr Allerbestes aus der immensen Fülle ihres Talents und ich denke, dass dies sowohl visuell als auch akustisch wahrnehmbar ist.


Die Mauer ist in fast jeder Einstellung präsent. Man fragt sich, ob sie nicht die eigentliche Protagonistin des Films ist.

Ich zeige die Mauer in all ihren Formen: Betonmauer, elektrischer Zaun, Gräben, Stacheldraht, und von allen Seiten. Sie ist immer präsent — so wird der ganze Film durch diese besessene Manifestation der Trennung und des Eingeschlossenseins erlebt. Die Stimmen —meine und die meiner Protagonisten — kommen fast alle aus dem Off. Keine Kommentare, keine Erklärungen — es sind einfach menschliche Stimmen, die versuchen, sich unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Bulldozer Gehör zu verschaffen. Tatsächlich ist das Prinzip ganz einfach: Ich bewege mich an der Mauer entlang zu den verschiedenen Baustellen, und die Leute reden mit mir. Manchmal sehen wir sie nicht, weil sie hinter der Kamera stehen wie wir. Sie sehen sich die Mauer an, während wir diese filmen, und sind so verblüfft und alarmiert, wie wir es sind. Sie sind Arbeiter, welche die Mauer bauen, oder Leute, die daneben leben, oder Leute, die sie überklettern und angehalten werden. Die Mauer hat eine solche Präsenz, sie ist so gewaltig und wahnsinnig, dass man beim Betrachten nicht anders kann, als in ihr das Symptom einer ernsthaften Erkrankung zu spüren.


Wir wissen nicht immer, auf welcher Seite der Mauer die Kamera steht, noch in welcher Gegend. Es ist, als ob die Geographie des Ortes und damit des Konfliktes außen vor bleibt.

Das ist wahr, und es ist eine bewusste Entscheidung. Ich lud einige Leute in den Schneideraum ein, um meine Herangehensweise auf die Probe zu stellen. Manche schlugen vor, eine Karte einzublenden oder Titel, um die verschiedenen Orte zu kennzeichnen. Manche rieten sogar, verschieden farbige Untertitel zu verwenden, um die gesprochenen Sprachen zu unterscheiden. Hätte ich solche Ratschläge befolgt, würde mein Film nicht existieren. Nichts berührt mich mehr im Leben wie im Film, als wenn ein Jude mit einem Araber verwechselt wird oder umgekehrt. Israelis und Palästinenser ähneln einander, wie Gefangene und Wächter es am Ende immer tun. Für mich ist dieses Land ein Land und zwar ein kleines, gleichermaßen von Juden und von Arabern bewohnt. Ich identifiziere mich damit, weil ich gleichzeitig Jüdin und Araberin bin. Das Judentum ist Teil der Geschichte dieses Landes, aber eines Tages müssen die Israelis zustimmen, auch ein bisschen arabisch zu werden. An diesem Tag wird die Mauer fallen.


Es gibt nur ein arrangiertes Interview im Film — das mit einem israelischen Beamten.

Das Interview wurde mit General Amos Yaron, Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums geführt. Er steht Ariel Sharon nahe. Und wie sein Chef war auch er in die Sabra- und Shatila-Massaker von 1982 verwickelt. Die Mauer wird von seinem Ministerium gebaut. Er ist der Mann, der die Verantwortung trägt: mit einem Strich seines Stiftes auf der Landkarte kann er: Felder enteignen, Olivenbäume entwurzeln, die einzige Zugangsstraße eines Dorfes sperren, und er muss sich nicht zurückhalten. Eigentlich kann man sagen, dass er seit zwei Jahren genau das tut.


Warum war er bereit, Ihnen so ein langes Interview zu geben, in dem er, eingerahmt durch zwei Flaggen und seiner eigenen Wahrheit so sicher, nicht sehr sympathisch wirkt?

Er sieht die Dinge nicht so, wie wir sie sehen. Wir vereinbarten das Interview: sein Sprecher platzierte die Flaggen und kontrollierte den Bildausschnitt. Die Fragen hatte er vorher erhalten. Es ist Teil seines Jobs, den Medien seine Suppe zu verkaufen. Seine Worte wurden nicht manipuliert. Er erscheint in einer Sequenz mit langer Einstellung, wo ich ihm nur technische Fragen stelle. Er ist Teil der Mauer, so unüberwindlich wie die Mauer selbst.


Können Sie uns einen Grund für Hoffnung nennen?

Dem Wahnsinn einen Namen zu geben ist der erste Schritt zur Heilung. Hoffnung wohnt in der Menschlichkeit der Leute, in den Worten des Israelis, der sagt, dass er bereit wäre, alle politischen Führer der Region in sein Haus einzuladen und notfalls auch sein Haus zugunsten des Friedens aufzugeben. Sie wohnt in der Würde der Palästinenser an den Kontrollpunkten, im Gelächter des Psychiaters, der mir sagt, dass ich nicht verrückt bin, sondern die Ablehnung der Mauer ein Zeichen der Gesundheit ist.

Ich will nicht für billige Illusionen werben. Wir haben genug an der Friedensshow gelitten, all dieses Händeschütteln, während die Leute weiter sterben. Ich bin seit 20 Jahren in Israel und Palästina unterwegs, und nie ist mir so viel Grausamkeit und Irrsinn begegnet wie heute.

Die Mauer ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für diejenigen von uns, die Frieden wollen, nicht nur ein Verbrechen an einer der schönsten und historisch bedeutsamsten Landschaften dieser Welt. Für Palästinenser ist es ein Mechanismus fortschreitender Enteignung und Vertreibung. Was die Israelis betrifft, ist es schrecklich, mit anzusehen, dass dieses Volk, mein Volk, das Meere überquerte, um den Gettos zu entkommen, sich willentlich und einvernehmlich selbst einmauert.

Einer meiner Protagonisten drückt das sehr treffend aus: „Wir lieben dieses Land so sehr, dass wir es einschließen.“ Ein anderer sagt, das Heilige Land sei vom Teufel genommen worden. Genauso empfinde ich das auch, obwohl ich weder an Gott noch an den Teufel glaube.



Paris, April 2004