Medizinische Versorgung
unter Besatzung
Vortrag ESG Paderborn 14.06. 05
von Dr. Ibrahim Lada’a
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Jeder
Mensch hat ein Recht auf eine adäquate Gesundheitsversorgung, auch unter der
Besatzung. Die UNO verpflichtet die Besatzungsmacht die Gesundheitsversorgung
der besetzten Bevölkerung mit den benachbarten Staaten zu vergleichen.
Jordanien hat die längste Grenze mit Palästina, wie auch Israel.
Dass
Israel, mit seiner medizinischen Entwicklung, es mit jedem europäischen Staat
aufnehmen kann, ist uns allen bekannt.
Aber
auch das jordanische Gesundheitswesen hat sich von 1967 bis heute sehr schnell
entwickelt. Wenn der jordanische Gesundheitsminister von medizinischem
Tourismus spricht, so hofft er, daß sich die reichen Ölaraber in Jordanien
operieren lassen, auch an offener Herzchirurgie.
Nach
der Besetzung der West Bank und des Gazastreifens, am 5.6.67, bildete der
israelische Militärgouverneur eine Art Gesundheitsministerium. Dieses übernahm
die Verwaltung der Regierungskrankenhäuser, die zu jordanischer Zeit mit Hilfe
palästinensischer und ausländischer Bürgerinitiativen gebaut worden waren. Die
elf Krankenhäuser enthielten insgesamt ca. Tausend Betten. Die medizinische
Behandlung, zu jordanischer Zeit, war kostenlos oder erfolgte gegenüber einer ymbolischen Nachbezahlung.
Nach
1967 wandelte die israelische Militärregierung drei dieser Krankenhäuser in ein
Polizeipräsidium, in eine Zentralverwaltung der Besatzungsmacht und in ein
Gefängnis um.In den 27 Jahren, seit der Besatzung,
wurde kein einziges weiteres Bett hinzugefügt, trotz des enormen
Bevölkerungswachstums- die durchschnittliche Geburtenrate liegt bei 4,7
Kindern.
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Nachdem
die Palästinensische Autorität 1994 die Verantwortung für die
Gesundheitsversorgung von den Israelis übernommen hatte, war die Lage mehr als
miserabel.
Die
Gesundheitspolitik ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Machtverhältnisse.
Während der gesamten Besatzungszeit war die israelische Politik darauf
ausgerichtet eine Spaltung innerhalb der palästinensischen Gesellschaft zu
schaffen. Ihre unermüdlichen Versuche eine VIP Schicht zu bilden ist immer
wieder durch die Wachsamkeit der Palästinenser fehlgeschlagen.
Es geht soweit, daß man mit der Gesundheit bzw. Krankheit eine Machtpolitik
durchführt. z.B. besitzt der Ramallah Distrikt, mit ca. 300 000 Menschen, nur
ein 100 Betten Krankenhaus und vier Dialyse-Apparate. Er bekommt vom
israelischen Militärgouverneur pro Monat 15 bis 20 Überweisungsscheine für
israelische Krankenhäuser. Diese vier Dialyse-Apparate sollen
den gesamten Norden der West Bank versorgen. Somit ist klar, wie schwierig es
war, die Entscheidung zu treffen, welche Patienten diese Überweisung erhalten
sollten. (es ist schwer, wenn Ärzte in die Situation kommen, wie Götter zu
entscheiden.) Diejenigen Patienten, die einen Überweisungsschein für die großen
und supermodernen israelischen Krankenhäuser bekamen, hielten sich für sehr
glücklich und fühlten sich als hätten sie das große Los gezogen.
Obwohl
die Kosten für die Überweisungen von den palästinensischen Steuerzahlern
entrichtet wurden, musste der palästinensische Patient auf direkte oder
indirekte Weise selbst in Dollar zahlen, um an die Reihe zu kommen.
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1978,
als ich nach dreimaligen Anträgen für Familienzusammenführung, durch
meinen Vater, die Erlaubnis erhalten hatte, kehrte ich nach Hause
zurück. Ich wurde als Chefarzt der HNO Abteilung im Ramallah Krankenhaus und
als Consultant für die gesamte West Bank angestellt. Mit der bereits
geschilderten medizinischen Situation wurde ich auf schockierende Weise
konfrontiert. Renovierungsbedürftige Krankenhäuser, Mangel an Hygiene alte
Operationssäle sowie untaugliches Instrumentarium waren Realität.
Die mehrmaligen Aufforderungen der Ärzte
an die israelische Militärregierung diese Situation zu beheben, schlugen
fehl. Wir halfen und formierten uns
selbst, um unserer Bevölkerung die medizinische Versorgung, besonders die
Primary Health Care und die Community Health näher zu bringen. Für mich war das eine vollkommen
neue Herausforderung, denn ich war aus Deutschland mit schulmedizinischer
Ausbildung zurückgekommen.
Es gab mehrere Kollegen, die als Assistenzärzte in Regierungs- und Privat
Krankenhäusern in Jerusalem tätig waren und in der ehemaligen Sowjetunion ihre
Ausbildung erhalten hatten. Sie waren
als erste am Werk und organisierten an jedem Freitag einen medizinischen Besuch in den entlegenen
Dörfern, im Jordantal, im Hebrongebirge
und in den Dörfern, dessen Bewohner nicht die Möglichkeit hatten einen
Arzt zu sehen.
Wir
fuhren in Privatautos. Unter uns Ärzte verschiedener Fachrichtungen, wie
Gynäkologen, Orthopäden, Kinderärzte und ich als HNO Arzt. Wir trafen am
Vormittag in diesen Dörfern ein. Der Muezzin verkündete unsere Ankunft durch
den Lautsprecher der Moschee und jeder Arzt behandelte die Dorfbewohner in
einem Zimmer. Dies dauerte bis in den Abend hinein, wo wir dann zu einem netten
Imbiß von dem Dorfältesten eingeladen wurden und dabei medizinische Gespräche
führten.
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Aus
dieser Basisarbeit der 78er und 79er
Jahre entwickelte sich eine große Gesundheitsorganisation, die sich
jetzt Medical Relief/ Medical Worker Union nennt und über 26 Kliniken in
verschiedenen Dörfern der West Bank betreibt, als auch eine Schule für
Krankenschwestern, in der mehrere 100 Krankenschwestern und Pfleger ausgebildet wurden. z.Zt. wird in Beit Sahour
das erste Krankenhaus mit 70 Betten, als erste Stufe gebaut.
Uns
war klar, das dies eines der Basiselemente für ein
Staatsgebilde darstellte. Parallel dazu forcierten die verschiedenen politischen Richtungen ihre
Intensität für den sozialen Aufbau, so dass heute die sogenannten NGO’s
Kliniken und Krankenhäuser von der
gesamten Medizinischen Versorgung nicht
mehr wegzudenken sind. Sie versorgen die
Mehrheit der Bevölkerung in den Dörfern und entlegenen Siedlungen.
Als
Arafat 1993, nach dem Oslo Abkommen, zurückkam, riegelten die Israelis im März
93 Jerusalem ab, d.h. kein Westbank - Bewohner durfte ohne Genehmigung des
israelischen Militärs Jerusalem betreten. Jerusalem, in arabisch
Al-Qqds, die Heilige, ist nicht nur ein religiöses Zentrum oder geographisches
Zentrum, sondern auch das medizinische Zentrum für die Palästinenser. In
Al-Qqds gibt es und gab es 5 Krankenhäuser mit der Hälfte der Bettenzahl in der
gesamten Westbank mit den größten
orthopädischen, internistischen, chirurgischen, auch offene Herzchirurgie und
moderne Ophthalmologie Abteilungen und
nicht
zuletzt die erste HNO Abteilung mit Mikrochirurgie.
Eine
zusätzliche Belastung für Arafats Gesundheitswesen bestand darin, daß der
LWF/AVK die kostenlose medizinische Behandlung, die seit 1995 bestand , absagte, somit hatte Arafat eine halbe Million
Flüchtlinge mehr zu versorgen.
Über Nacht war es den Palästinensern nicht mehr möglich diese Krankenhäuser zu
erreichen.
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Heute
ist die Situation noch schlimmer geworden. Eine 8 Meter hohe Betonmauer
umzingelt und trennt Al Qqds von ihren ursprünglichen Bewohnern.
3,6 Mill. Menschen werden durch diese Mauer ihres Landes beraubt, noch dazu daß
es sich in dem übriggebliebenen Gebiet um eine der höchsten Bevölkerungsdichten
in der Welt handelt.1400 Bewohner in einer Quadratmeile, zum Vergleich: in
Europa hat Holland die größte Bevölkerungsdichte
von 1200, Israel hat eine Bevölkerungsdichte von 770 pro qmeile
Als
Folgeerscheinung dieser Mauer und mehrerer hunderter Checkpoints haben seit 2000 69 Frauen an den Checkpoints
entbunden.( lt. Weltgesundheitsorganisation ist die
Zahl der sterbenden Neugeborenen bzw. die der Wöchnerinnen gravierend
gestiegen)
In
der gesamten Westbank darf man sich nur mit Genehmigung des israelischen
Militärs bewegen. Diese Genehmigung , die auch von Stadt
zu Stadtgrenze, und von Dorf zu Dorf gilt, ist nur sehr schwer zu bekommen. Sie
kostet den Menschen sehr viel Zeit. Ein ganzes Volk, dessen tägliche
Hauptbeschäftigung es geworden ist an
680 israelischen Checkpoints zu stehen,
um an seine Arbeitsstelle, in die Schule, zum Arzt, ins Krankenhaus oder
zu seinem Feld oder Olivenhain zu gelangen.
Zeit
ist das schlimmste, was Israel den Palästinensern stiehlt.