Initiative gegen den Krieg Paderborn

Paderborner Initiative gegen den Krieg und Projektbereich EineWelt an der UNI Paderborn laden ein:

Finanzkrise oder Systemkrise?
Krieg oder Revolution?
Diskussionsveranstaltung mit Christian Frings, Köln
Dienstag, 20. Januar 2009, 20:00 Uhr
Kulturwerkstatt – Cafeteria, Bahnhofstraße 64, Paderborn  -   Flugblatt


Der Referent Christian Frings war langjähriges Mitglied der Zeitschrift Wildcat, gehört zu den Übersetzern von Beverly Silver: Forces of Labour - Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870 und beschäftigt sich seit Anfang der 80er Jahre mit der Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems.

Im Juni 2006 war Christian Frings Referent bei einer Diskussionsveranstaltung in Paderborn: "Globaler Krieg und soziale Revolution - Wer regiert die Welt, wenn das Imperium untergeht?"


Finanzkrise oder Systemkrise?
Krieg oder Revolution?

Der Zusammenbruch der Finanzmärkte seit August 2007 war nur der Anfang. Die Vernichtung von spekulativem Kapital in Billionenhöhe auf dem ganzen Globus bildet nur die Staubwolken einer ungleich tieferen Krise des globalen Kapitalismus, die hinter der scheinheiligen Aufregung über Gier, Zockerei und Spekulation allmählich zum Vorschein kommt. Noch lenken die scheinbar rätselhaften und unglaublichen Phänomene auf den Spielwiesen einer unbekannten Welt der Hochfinanz von der dahinter stehenden Dramatik der globalen Strukturkrise ab. Geradezu mit Erleichterung stürzen sich Medien und Politik auf jeden neuen Fall von offensichtlichem Finanzschwindel und versuchen damit der Bevölkerung zu suggerieren, ein paar Übeltäter seien Schuld an der Misere und müssten nur bestraft werden. Zugleich stehen die Staaten dieser Welt mit ihren wirkungslosen Bemühungen um eine Beherrschung der Krise immer hilfloser da und ihre Legitimation als gesellschaftlicher Ordnungsfaktor zerbröckelt. Historisch sind das die Situationen, in denen es den Menschen in den Sinn kommen kann, die Dinge gleich selber in die Hand zu nehmen und nicht mehr den Herrschenden zu überlassen.

Was heute zusammenkommt und als Finanzkrise nur einen ersten Ausdruck findet, sind drei Krisen auf einmal: Das Ende eines Produktions- und Akkumulationsmodells, mit dem der Kapitalismus nach seinem dramatischen Scheitern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach den Barbareien von Weltkriegen und Faschismus, trotzdem noch ein mal einen historisch beispiellosen Boom und eine globale Expansion erfuhr. In die Krise geriet dieses Modell schon in den siebziger Jahren mit rückläufigen Produktivitätszuwächsen, einer sinkenden Profitrate und breiten proletarischen Kämpfen gegen die Diktatur von Fließband und Akkordarbeit. Seit dieser Krise ist das Kapital immer stärker in die Sphäre einer rein finanziellen und spekulativen Selbstverwertung geflüchtet, was schließlich zu der bizarren Konstellation an den Finanzmärkten geführt hat, die jetzt zusammenbricht – und das Schlimmste auf dieser Ebene kommt erst noch, wie die jüngsten Zahlen zeigen. Zweitens spitzt sich eine globale Krise der Naturressourcen zu, der die Herrschenden genauso hilflos gegenüberstehen, weil die Basis ihrer Macht eine vom Öl getriebene Produktions- und Transportmaschine bildet, die sie nicht in Frage stellen können. Die Welle der Lebensmittelunruhen, die sich seit Ende 2007 im globalen Maßstab ausbreitet, ist eine Reaktion auf den dramatischen Anstieg der Nahrungspreise, der unmittelbar mit den Grenzen dieses Akkumulationsmodells zusammenhängt: dem wahnwitzigen Versuch, aus Lebensmitteln einen alternativen Treibstoff zu produzieren und der Benutzung von Nahrung als Spekulationsobjekt nach dem Platzen der Immobilienblase. Die dritte und akuteste Krise ist die politische Erosion des Staatensystems unter Führung der USA, das den Wiederaufstieg des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt erst möglich gemacht hat. Die Kriege gegen den Irak und Afghanistan waren die letzten Versuche der globalen Ordnungsmacht, mit militärischen Mitteln ihre Rolle als Garant des kapitalistischen Weltmarkts zu verteidigen, die sie auf finanzieller, ökonomischer und politischer Ebene schleichend verloren hatte. Und so wie das Scheitern der militärischen Stabilisierungspolitik im Irak und in Afghanistan schlagartig den Niedergang des „Imperiums“ beleuchten, so demonstriert die Finanzkrise das Ende eines auf dem Dollar beruhenden Weltkapitalismus.

Seit seinem ersten Take-Off im 16. Jahrhundert hat sich der Kapitalismus nicht gradlinig, sondern immer wieder unterbrochen von tiefen, langen wirtschaftlichen und politischen Krisen entwickelt. Ähnlich wie heute markierte jede dieser Krisen die Grenze eines bestimmten Produktions- und Akkumulationsmodell, einer bestimmten Form des Umgangs mit natürlichen Ressourcen und das Auseinanderfallen eines vormals stabilen Staatensystems als Ordnungsrahmen. In allen bisherigen Krisen war der jahrzehntelang Übergang zu einer neuen Ordnung von Krieg, politischem Chaos und gesellschaftlicher Barbarei begleitet. Ein genauerer Vergleich dieser Krisen zeigt aber auch, dass sie nicht einfach eine Wiederholung des Immergleichen waren, sondern dass die Fähigkeit, Kompetenz und Macht der einfachen Menschen, auf den Verlauf und den Ausgang der Krisen Einfluss zu nehmen zugenommen hat. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Situation: Vor dem Hintergrund einer lang anhaltenden ökonomischen Depression und eines auseinander brechenden Staatensystems wächst die Gefahr, das Staatsmänner in den Krieg als letzte Option ihrer Herrschaftssicherung flüchten und dass jeder einzelne militärische Konflikt wie der Angriff Israels auf Gaza oder der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine in regionale oder globale Flächenbrände eskalieren kann. Auf der anderen Seite steht eine mittlerweile auf fast sieben Milliarden Menschen angewachsene Weltbevölkerung, die sich dies vielleicht nicht mehr gefallen lässt, die sich nicht wieder in einen Strudel von Nationalismus und Rassismus hineinziehen lässt, in deren sozialen Kämpfe von China bis Argentinien eine Alternative zu der historisch bekannten Logik von Krise, Krieg und Barbarei entstehen könnte.

 

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